Musivkerein Elchesheim-Illingen

Über Vereinsarbeit… über Vertrauen und Toleranz

Als langjähriger Hobby-Musiker, Vorstandsmitglied und Musikervorstand mache ich mir ab und an Gedanken über die Eigenschaften, das Wesen und die Besonderheiten der Menschen, die aktiv in einem Verein – in unserem Beispiel in unserem Musikverein – mitwirken.

Was für Eigenschaften müssen Menschen mitbringen, damit ein Orchester mit derzeit 78 Musikerinnen und Musikern zwischen 12 und knapp 80 Jahren funktionieren kann? Wie können die vielen Veranstaltungen und Verpflichtungen so reibungslos über die Bühne gehen, wenn so viele Interessen aufeinander treffen?

Was sind unverzichtbare Merkmale dieser Persönlichkeiten?
Was macht sie zu idealen Vereinsmitgliedern?

Eine geeignete Person ist schon als Kind oder Jugendlicher vom unbedingten Willen beseelt, nach der musikalischen Früherziehung zuerst die Blockflöte und dann ein gerade im Verein nachgefragtes Instrument in höchster Perfektion zu erlernen. Die zeitliche Ungebundenheit erlaubt es diesem Kind/Jugendlichen, neben der Vorbereitung auf das Jungmusiker-Leistungs-Abzeichen, noch im Jugendorchester, in verschiedenen Ensembles und in diversen Schulbands und -orchestern mitzuspielen, um damit den Grundstein für ein späteres Durchstarten im Vereinsorchester zu legen.
Trotz der hohen Anforderungen durch G8 oder Realschule bleibt immer genügend Zeit für die tatkräftige Mithilfe bei allen Veranstaltungen, die Anwesenheit bei allen Proben und Auftritten, sowie das tägliche Üben zuhause. Ob als Tellerwäscher, Gläsersammler oder Serviettenfalter – sobald man laufen kann, gibt es sinnvolle und herausfordernde Tätigkeiten, die Freude und Persönlichkeitsentwicklung bieten!

Es wird überdies gerne gesehen, wenn auch andere Hobbies und Sportarten erfolgreich betrieben werden, schließlich ist der Kontakt zu anderen Clubs und Orchestern auch für unseren Verein oft von Vorteil. Auch der Besuch von Konzerten unterschiedlichster Art – von Metal bis Klassik – ist gerne gesehen; allerdings (s.o.) wird der 100%-Einsatz für den Musikverein dadurch nicht beeinträchtigt.
Was ist schon ein Tennis-Medenrunden-Spiel in der ersten Mannschaft gegen den Auftritt in einer heißen Festhalle vor 20 begeisterten Zuhörern? Oder DAS FEST in Karlsruhe gegen eine eigene Veranstaltung??

Sobald der Musiker/in die nötige Reife und das Alter entwickelt hat, kann endlich die Mitarbeit in Verwaltung und anderen Gremien starten. Zeitintensive Arbeiten in der Jugendleitung, als Satzführer, Vorstandsmitglied und im Kantinendienst werden gerne übernommen – der „Hauptberuf“ Schule läuft ja mit Bestnoten nebenher. Die versäumten Punkte bei Klassenarbeiten werden zugunsten einer tadellosen Anwesenheits-Statistik gerne in Kauf genommen.

Nach dem Schulabschluss ist dann selbstverständlich ein ortsnahes Studium oder Ausbildung das Ziel: Wissenszugewinn, Aufbau einer stabilen Existenz und die Entwicklung einer wunderbaren Persönlichkeit können ja bekanntlich auch neben Proben, Üben und Auftritten problemlos realisiert werden. Die kleine Einschränkung an Studienfächern und der kaum zu bewältigende Zeitdruck sind gegenüber der Kameradschaft und den musikalischen Erfolgen beim Musikverein eher zu vernachlässigen. Auslandssemester oder längere Studien-Aufenthalte verbieten sich durch den Terminplan des Musikvereins fast von selbst.

Der Eintritt ins Berufsleben ist für ein perfektes Musikvereins-Mitglied etwas kompliziert: Einerseits darf die Tätigkeit keine Schichtdienste verlangen, um auch alle Proben besuchen zu können. Andererseits genügend Geld und Freizeit bieten, um weiterhin uneingeschränkt für die wichtigeren Aufgaben im Verein Freiräume zu haben. Auch eine Selbständigkeit und eine eigene Firma sind von Vorteil, weil dadurch Ressourcen für Spenden, Material, Fahrzeuge und Werkzeuge unbegrenzt zur Verfügung stehen.

Um das nötige Fachwissen über Steuerrecht, Buchhaltung und Personalführung zu erlangen, wird neben der selbständigen oder angestellten Tätigkeit auch gerne eine Position im höheren Management, als Bank- oder Versicherungsvorstand, Aufsichtsrat, als Pressesprecher oder als Personalchef ausgeübt – es kommt dem Verein ja alles irgendwann zugute. Mehr als 38 Stunden wird allerdings für den Broterwerb nicht einkalkuliert – Üben, Proben, Verwaltungstätigkeit und Auftritte könnten ja sonst zu kurz kommen.

Bei Vereinsveranstaltungen kümmert sich unser Ideal-Musiker mittlerweile geschickt um Planung, Stückeauswahl, Werbung, Einkauf, Genehmigungen, Arbeitseinteilung, Dekoration, Bühnenaufbau, Sound, Licht, Vorverkauf, Standbesetzungen, Besucherbetreuung, Getränkenachschub und die Reinigung der Toiletten.

Er/sie begrüßt freundlich die Gäste, spielt wunderbar alle Soli, und führt gekonnt und witzig durch das von ihm selbst zusammengestellte Programm. Anschließend macht es auch keine Mühe, noch ein paar Stunden auswendig mit der „kleinen Besetzung“ die Besucher bei der Stange zu halten.

Nachdem er am Tag nach der Veranstaltung alle Stühle und Utensilien weggeschafft und die Küche geputzt hat, macht er sich gleich nach einem Abstecher auf die Mülldeponie an den Bericht für den Gemeindeanzeiger. Die unterstützenden Fotos für die Veröffentlichung hat er ja auch schon geschossen und nachts noch professionell bearbeitet.
Ohne sich auf den Lorbeeren auszuruhen werden in den nächsten Tagen noch schnell 60 CDs vom Konzert gebrannt, mit schön gestalteten Labels beklebt, und als Sekundärmotivation an die Musiker verschenkt.

Bei der Partnersuche und Familiengründung geht der Ideal-Musiker natürlich auch gewohnt zielstrebig vor: Als Partner kommt nur ein vereinsaffiner, selbstloser und verständnisvoller Mensch in Frage, denn die Zeit, die für den Verein eingesetzt wird, gilt ja als Bereicherung der Familien-Kultur und wird von der gemeinsamen Zeit nicht abgezogen sondern zählt doppelt.
Sobald sich Nachwuchs – zukünftige Jungmusiker – einstellen, wird die Arbeitsteilung klar geregelt: Kinder werden vom Partner übernommen, sobald Zeit für Üben, Proben, Auftritte und Verwaltungssitzungen benötigt wird. Nötigenfalls wird auch mal früher abgestillt, um alle Register gut besetzen zu können.
Nach ein paar Jahren als Satzführer, Musikervorstand, leuchtendes Vorbild für Jüngere und Leistungsträger im Orchester setzt der Musiker nun alles daran, möglichst früh aus der Arbeitswelt auszuscheiden. Als Pensionär oder Rentner steht jetzt doch viel mehr Freizeit zur Verfügung und die gewonnene Freiheit kommt 1:1 dem Musikverein zu Gute.

Nachtwache, Auf- und Abbau, Getränkeeinkauf sind nur einige Beispiele für die neu hinzu gekommenen Vergnügungen. Als Senior erfährt man große Bereicherung durch die Heranführung der nächsten Generation an Aufgaben und Verantwortung im Satz.

Die Frage die sich jetzt stellt lautet: „Gibt es solche „Ideal-Personen“ als Musikvereins-Aktive in Wirklichkeit?“

Ich behaupte: „Ja, es gibt diese Personen!“

Diese Menschen gibt es wirklich, sonst gäbe es unseren Verein nämlich nicht!

Allerdings: Die geschilderten Eigenschaften, Wesenszüge und Charaktere sind nicht auf einen einzelnen Menschen konzentriert, sondern verteilen sich auf uns alle!

Wir sind die Kinder, die begeistert Blockflöten lernen, die Jugendlichen, die Tennis spielen und trotzdem so oft wie möglich zur Probe kommen. Wir sind die Jugendleiter, Moderatoren, Personalchefs, Rentner, Planer und Macher. Wir spielen die Soli bei Konzerten, tragen Stühle hin und her, füllen GEMA-Anträge aus und putzen den Toilettenwagen. Wir sind Schüler, Selbständige, Manager, Arbeiter und Rentner.

Wie aber kann solch ein kompliziertes Geflecht aus Interessen, Begabungen, Motivationen, Nachlässigkeiten und menschlichen Stärken und Schwächen über so viele Jahre fast reibungslos funktionieren?

Dazu braucht es zwei Schlüsselkompetenzen bei allen Beteiligten: Vertrauen und Toleranz!

Wie gesagt, teilen sich unsere Kompetenzen, Fähigkeiten und wunderbaren Eigenschaften auf viele Personen auf. Daraus folgt, dass kein Musiker, keine Musikerin alle Vorteile und alle Ideal-Voraussetzungen in sich hat – und auch nicht haben kann! Das wäre übermenschlich.

Mit dem nötigen Vertrauen können wir jedoch Jedem unterstellen, dass er/sie so viel im und für den Verein einbringt, wie es in der momentanen Lebenssituation für ihn/sie möglich, vertretbar und gewollt ist. Die Mitwirkung im Musikverein, das Proben, die Arbeitseinsätze und Auftritte, haben eben nicht für alle die gleiche Wertigkeit im Vergleich zu Familie, Schule oder Beruf.
Es wäre einfach unrealistisch, immer 100% an Einsatz zu erwarten – wir sollten vielmehr das Vertrauen haben, dass momentan eben nicht mehr möglich ist. Anstatt zu schimpfen und zu tadeln sollten wir uns über alles freuen, was an Unterstützung kommt, und auf eine Zeit hoffen, wo mehr Zeit und mehr Lust zur Verfügung stehen wird.
Manch ein guter Musiker wurde in einer persönlichen „Durchhängephase“ durch zu großen Druck und Vorhaltungen für immer vom Verein entfremdet – hier kann durch Verständnis und Vertrauen auf bessere Zeiten dafür gesorgt werden, dass keine Brücken abgebrochen werden.

Was als wichtige Komponente jetzt noch dazu kommen muss, ist die Toleranz!

Es ist natürlich löblich, wenn ein Musiker immer pünktlich ist, alle Auf- und Abbautermine wahrnehmen kann und auch sonst viel mehr als der Durchschnitt an Einsatz und Engagement einbringt, solche Menschen gibt es unverzichtbar in jedem Verein – aber:
Aber das ist eine persönliche Angelegenheit und Entscheidung und entbindet nicht von der Toleranz gegenüber Leuten, die das nicht in dem Maße können oder auch nur wollen!

Viele Probleme, Unzufriedenheiten und manch ein schwelender oder offener Streit wären zu vermeiden, wenn die Einsicht greift, dass der vermeintlich „bessere“ oder „fleißigere“ Musiker seine Maßstäbe und seine Möglichkeiten nicht einfach als Messlatte an andere anlegen kann!

Ein Verein kann dann gut und vor allem harmonisch funktionieren, wenn viele Menschen so viel Zeit und Engagement einbringen wie sie können und wollen, und sich gleichzeitig die Einsicht bewahren, dass das eigene Verhalten nicht als Muster oder als Richtschnur für alle dienen kann. Dazu sind die Ausgangssituationen der einzelnen Mitglieder einfach zu verschieden.

Freuen wir uns an den Kindern, die für den Verein Gläser einsammeln und ansonsten nur Geld kosten, ebenso wie über die Musiker, die jeden Tag fleißig ihr Instrument üben, dafür aber noch nie eine Festbank angerührt haben.
Freuen wir uns an den Mädels, die bis 4:00 Uhr die Bar am Laufen halten aber Studiums bedingt kaum in die Probe kommen können.
Freuen wir uns an den Menschen, die bei allen Aktivitäten dabei sind, immer fleißig helfen und Verantwortung übernehmen, und tolerieren wir dafür das ständiges Quatschen und Kritisieren, was die eigenen Nerven klingeln lässt – beides sind Eigenschaften die in der Person angelegt sind, und wer wären wir, uns da als Richter aufzuspielen?

Freuen wir uns an dem Kollegen, der immer zu spät zur Probe kommt, aber wenn es drauf ankommt sein letztes Hemd und die letzte freie Minute für den Verein opfern wird.
Freuen wir uns an Musikern, die nicht so gut spielen können wie sie eigentlich sollten – vielfach liegen die Fähigkeiten einfach auf anderem Gebiet und bei Festen und Veranstaltung werden wir davon profitieren.

Freuen wir uns an weltoffenen Jugendlichen, die wissen, dass die Leistungen in der Schule langfristig wichtiger sein werden, als 100% Probenbesuch.

Das Zauberwort heißt TOLERANZ!
Wir können keinen Druck erzeugen, sondern nur einen Sog. Durch Kritik, überzogene Forderungen und falsche Maßstäbe wurde noch niemand langfristig motiviert.

Was zum Ziel führt: Ein gutes Beispiel geben, Freude am Verein haben und auch ausstrahlen und tolerant und vertrauensvoll mit den vermeintlichen Unzulänglichkeiten der Kollegen umgehen.

Es geht schlussendlich um ein schönes Hobby, um Freizeit und Vergnügen und nicht um Leben oder Tod.

3 thoughts on “Über Vereinsarbeit… über Vertrauen und Toleranz

  1. Ungeachtet der vielfältigen Vorzüge eines aktiven Vereinslebens gibt es auch einige Menschen, die den Ernst Ferstl zugeordneten Ausspruch „Es wird Zeit, unsere Freizeit wieder zu einer freien Zeit zu machen.“ jederzeit unterschreiben würden. Gerade in unserer sich ständig beschleunigenden Leistungsgesellschaft, die von einem allgegenwärtigen Termindruck im geschäftlichen und privaten Umfeld gekennzeichnet ist, sehnen sich viele mit Leib und Seele nach echten Ruheinseln in ihrer Freizeit. Das ist eine absolut respektable Haltung, gerade auch dann, wenn man sich mit seiner Resilienz sowieso schon am Limit bewegt. Etliche Therapeuten können ein Lied davon singen, dass viele ihrer Patienten wegen des allgemeinen „zu viel von allem“ auf ihrer Couch liegen.

    Es kann daher in der Tat als eine hohe Leistung (vgl. Leistungsgesellschaft) angesehen werden, wenn sich viele Vereinsmitglieder bei jeder Gelegenheit pünktlich und vollumfänglich – und somit augenscheinlich vorbildlich – für die Gemeinschaft einbringen und dafür ganz bewusst einen Teil Ihrer kostbaren Freizeit investieren. Je nach Art des Vereins strukturiert das Vereinsleben dann auch ganz automatisch einen Großteil ihrer Freizeit, was ja auch einen Mehrwert darstellen kann – mitunter für die gesamte Familie mit Kind und Kegel.

    Im Verein knüpft und pflegt man Kontakte und hilft sich gegenseitig. Man kennt und schätzt sich. Es entstehen langjährige, manchmal sogar lebenslange Freundschaften.

    Man erreicht im Verein im Idealfall einen hohen Grad an Zufriedenheit und Anerkennung, was manche aus ihren anderen Lebensbereichen bereits kennen – was ansonsten jedoch manch anderen Mitgliedern beruflich oder auch privat aus den unterschiedlichsten Gründen versagt bleiben würde.

    Was aber, wenn die Zufriedenheit umschlägt in Unzufriedenheit? Wenn man bemerkt, dass das Vereinsleben einem mehr abverlangt, als man zu geben willens oder in der Lage ist?

    Einfach aufhören? Geht nicht, denn „Was würden die Leute wohl dazu sagen?“

    Was für viele absolut undenkbar ist, stellt für andere eine Steilvorlage dar, denn sie wissen, dass im Leben immer gilt: „Nichts ist so beständig wie die Veränderung.“

    Auch ich selbst habe über einige Jahre hinweg in Vereinen mitgewirkt, teils mit hohem, teils mit moderatem Einsatz. Diese Zeit werde ich nie vergessen, denn es war eine schöne und lehrreiche Zeit.

    Echte Freunde verstehen und akzeptieren es, wenn man aufgrund sich veränderter Lebensumstände, neuer Interessen oder eben aufgrund irgendwelcher anderer persönlichen Gründe etwas kürzer treten muss, eine temporäre Auszeit benötigt oder seine Aktivität vollumfänglich und endgültig einstellt.

    Schließlich hat man auch als Aussteiger viele Jahre tatkräftig mitgewirkt und somit den Verein zur jeweiligen Zeit im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt. Das verdient Respekt und keine Häme. Und das nicht ausschließlich dann, wenn es aus Altersgründen geschieht, ein Umzug ins Ausland stattgefunden hat oder irgendwelche gesundheitlichen Gründe der Anlass sind – sondern auch dann, wenn man sich ganz bewusst so entscheidet.

    In diesem Sinne: so lange es einem ehrlich und uneingeschränkt Freude bereitet, seine Energie in einem Verein mit einzubringen, sollte man auch unbedingt am Ball bleiben. Mit seinem Engagement kann man viel Gutes bewirken und das kann einem so viel zurückgeben.

  2. Guter Blogeintrag Jürgen ich betreibe auch 2 Websiten und auch die der Jugendkapelle und weis wie schwierig es ist die richtigen Worte zu finden da kann ich nur eins sagen TOLL GEMACHT!!

    Niklas Arnitz

    Juka-Ei.hatwaszusagen.de
    Niklas.hatwaszusagen.de

  3. Lieber Jürgen,
    einen super Eintrag hast du da geschrieben! Ich finde du hast es genau auf den Punkt getroffen!
    Liebe Grüße und bis Dienstag 😉
    Anna
    P.S.: Den letzten Rest Geschichte kann man auch mal in der Probe lernen… 😀

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