Hallo Welt,
heute Vormittag erreichte mich folgende Reaktion eines Schreiner-Kollegen auf meine Buchveröffentlichung.
Von: Lxxxxxxx <info@schreinerei-lxxxxxxx.de>
Betreff: Das Buch
Nachrichtentext:
lieber Kollege Deck,
Sie vertreiben Ihr Buch mit dem Mittelstandsmörder AMAZON. Dies würde ich alsbald ändern.
Gruss Gerhard Lxxxxxxxxxxxxx
Ich war gekränkt und fühlte mich angegriffen. Die einzige Reaktion auf viele Wochen Arbeit an Inhalt und Cover war es, mich dafür als Komplize eines Mörders zu bezeichnen.
Nun – vielleicht hatte er ja recht und ich hatte mich schuldig gemacht, ohne es zu wollen?
Hier der hilflose Versuch für eine angemessene Antwort:
“Lieber Herr Kollege,
danke für Ihr persönliches Feedback zur Veröffentlichung meines Buches „Internet und Social Media für Handwerker“.
Ich hatte schlicht übersehen, mit welcher Gedankenlosigkeit und Kaltblütigkeit ich den Vertriebsweg über einen anerkannten Mittelstandsmörder gewählt hatte!!!
Ich habe mich nach Ihrer Mail gleich über diese Schurken- und Gaunerorganisation schlau gemacht und bin schockiert!
Erlaubt sich diese Einzelhandels-Mafia doch tatsächlich, Produkte preiswert und mit einem super Service anzubieten und dadurch den örtlichen Einzelhandel zu erdrosseln. Und das brutalerweise noch unter Einhaltung der einfachsten Marktgesetze!
Im Nachhinein sehe ich auch folgendes Kauf-Erlebnis mit anderen Augen: Letztes Jahr bin ich insgesamt 24 km zu einem Elektro-Einzelhandel in die Stadt gefahren um eine kleine Block-Batterie für eine Steuerung zu kaufen. Ich hatte die genaue Typenbezeichnung dabei. Und etwas Geld. Nach ich 20 Minuten auf den einzigen kompetenten Batterie-Fach-Verkäufer im Haus gewartet hatte, bekam ich ein Produkt mit einer ziemlich ähnlichen Typenbezeichnung. Für 9,20Euro. „Das passt schon!“ Leider war das Teil drei Millimeter zu lang und passte nicht ins Gehäuse…
Was also tun? Vier Minuten an den Rechner… am nächsten Tag war eine exakt passende Batterie vom Original-Hersteller in der Post. Für 2,40Euro. Einschl. Verpackung und Versand….. gewissenloses GAUNERPACK von Amazon!
Nun war mein Selbstzweifel aber geweckt und so forschte ich weiter.
Ihr Hinweis auf meine asoziale Entgleisung bei der Buchveröffentlichung hat mich dazu gebracht, mein Leben als solches zu hinterfragen….
War nicht ich es, der letzte Woche beim Grillen mit unseren syrischen Flüchtlingsnachbarn Teile eines getöteten Lamms gegessen hat? Von einem Tier, was einen Namen hatte und noch viele Jahre putzmunter auf einem Bauernhof hätte leben können… was nie das Heranwachsen von Kindern und Enkel-Lämmchen erleben durfte! Brutal erschlagen für ein paar leckere Lammsteaks auf dem Grill!
War nicht ich es, der schon mal drei T-Shirts für 20 Euro gekauft hat! Aus Baumwolle, für die Wälder gerodet und Erde vergiftet wird. Geerntet und verarbeitet von Menschen mit Hautausschlag. Und genäht von unschuldigen Kindern in Indien! Die von Gleichaltrigen nach 16 Arbeitsstunden noch gemobbt werden, weil sie nicht für ein Markenlabel ausgebeutet werden.
Halte ich nicht auch täglich ein Smartphone in der Hand, dessen Produktion Minenarbeiter in Afrika täglich das Leben kosten kann. Dessen Produktion Kinder in China elternlos macht, weil diese fünfzig Wochen im Jahr in einer brutalen Ausbeuter-Industrie und in fensterlosen Unterkunftskasernen vegetieren müssen.
Hatte nicht ich tatsächlich schon einmal Fischfilets aus dem Atlantik gekauft, wohl wissend, dass durch die brutalen Fangmethoden der Fischbestand schon um fast 80% verringert wurde? Wie konnte ich übersehen, dass für die Produktion von deutschen Fischstäbchen tausende Delphine und Zwergwale als Beifang qualvoll in Netzen ersticken…
Wie kann ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, dass ich einen Flachbildschirm von Samsung im Wohnzimmer habe, und mit einer Kamera von Sony meine oberflächliche Welt fotografiere? Hätte ich nicht vielleicht doch irgendwie Metz, Schaub-Lorenz oder zumindest Grundig durch konsequentes Einkaufen retten können?? Was habe ich nur getan?
Warum habe ich durch den Kauf von billig produzierten CDs dazu beigetragen, dass die Schallplattenindustrie innerhalb von wenigen Jahren brutal dahingemetzelt wurde? Wo sind die schönen Plattenläden mit den kunstvollen Schallplattenhüllen? Alles dahin?
Und warum lasse ich jetzt auch noch sehenden Auges die CD-Industrie verhungern, weil ich meine Musik auf der Festplatte und im Telefon aufbewahre?
Wie kann ich es vor meinem Gewissen rechtfertigen im Restaurant Mineralwasser zu trinken, was in Italien abgefüllt und per LKW über die Alpen gekarrt wurde?
Wie schlecht müsste ich mich fühlen, weil ich beim Einkauf ab und zu das winzige Kraft-, Unilever- oder Nestlé-Zeichen übersehen hatte? Unterstützte ich wirklich solche genmanipulierten Monopolisten? Ausgerechnet ich?
Sollte ich nicht dagegen kämpfen, dass mein Benzin mit Bio-Sprit vermischt wird, der ja nachweislich für mein Fahrvergnügen wertvolle landwirtschaftliche Flächen vernichtet? Während in anderen Teilen der Welt die Menschen hungern?
Wie konnte ich so gedankenlos bei ALDI und DM einkaufen, obwohl ich danach in das traurige Gesicht von Tante Emma schauen muss, die so gerne noch ihren Laden an der Ecke ein paar Jahre weiter betrieben hätte. In unserer Gemeinde gab es 1950 noch 42 Einzelhändler, jetzt sind es noch drei…
Wie konnte ich es wagen, im Winter für eine Woche nach Teneriffa zu fliegen? War mir nicht bewusst, dass die Abgase von Passagiermaschinen zur Erderwärmung beitragen und ich so für den Tod von Millionen von Menschen auf den Malediven und anderswo mitverantwortlich bin? Und dabei liegt der Schwarzwald direkt vor unserer Haustür…
Meine PV-Anlage auf dem Dach erzeugt zwar im Jahr mehr als 22.000kW Strom direkt aus Sonnenlicht – aber durch die EEG-Umlage macht sie mich unfairerweise immer reicher und alle Stromkunden immer ärmer.
Ich sitze hier in meinem Büro und nutze das Internet, wissend, dass ich für eine einzige Suchanfrage bei Google mehr Strom verbrauchen werde als eine Energiesparlampe in einer Stunde.
Wenn ich mich umschaue sehe ich Dinge, die allesamt viel weiter rumgekommen sind, als ich es je tun werde. Da sind Drucker von Epson und Canon, Bildschirme von ASUS und Apple… sogar meine Katze liegt auf einer Hängematte, die garantiert nicht in Deutschland genäht wurde.
Unter was für Bedingungen arbeiten Menschen, die einen Multifunktions-Drucker montieren, der hier für brutto 80 Euro verkauft wird? Warum sind die Plastik-Patronen in zwei Plastiktüten verschweißt und in einem Plastikbeutel verpackt, während die Ozeane an Mikro-Plastikpartikeln zugrunde gehen? Habe ich das so gewollt?
Was sage ich meiner örtlichen Druckerei wenn sie erfährt, dass ich 500 Flyer im Internet bestellt habe? Ich hatte mich sogar erkundigt: Die Druckerei hätte auch 60 Euro verlangt – aber nur für das Falzen….
Ich verkehre mit Freunden, die sich die Wohnung mit Billigmöbeln von IKEA voll stellen, obwohl ich ihnen in meiner Schreinerei doch für den sechsfachen Preis auch ein schönes Design-Regal hätte bauen können…. Aus einheimischer Buche und nicht aus Spanplatten aus Russland.
Wie geradezu unanständig ist die Freude meiner Frau, der ich zum Geburtstag einen Strauß mit Rosen schenke – wo die im Januar wohl wachsen? Ob die Pflückerinnen in Ostafrika sich auch an Blumen zu Festtagen erfreuen können?
Ich könnte diese Aufstellung noch fast endlos weiterführen – es nützt aber nichts.
Die Welt ist nicht einfach wie sie ist – sie ist so, wie wir sie gemacht haben.
Sie sieht anders aus als vor 10, 20, 100 oder 1000 Jahren. Und sie wird sich in Zukunft auch weiter ändern.
Man kann es Untergang oder Fortschritt nennen. Wir fahren nicht mehr mit Droschken, weil Autos mehr Vorteile haben.
Wir bauen als Schreiner Schubkästen mit gedämpftem Unterflur-Vollauszug – weil das einfach besser ist als die klassisch geführten, gezinkten und ewig klemmenden Schubkästen von vor 40 Jahren. Und billiger herzustellen.
Wie viele Kohlekumpel, Hufschmiede, Leinenweber, Schriftsetzer, Gaslaternenanzünder, Fahrstuhl-Bediener, Telegrafenbeamten, Bahnhofs-Vorsteher und Müllmänner sind in der Vergangenheit „weggefallen“?
Sie mussten umlernen und umdenken, weil das Bessere der Feind des Guten ist. Und schon immer war.
Aber sie wurden nicht von Mördern umgebracht.
Und da wären wir wieder beim Anfang: Amazon und insbesondere KDP stehen für eine neue Art der Distribution. Was die Kunden bei Quelle und Otto vor 50 Jahren noch als Revolution feierten, findet jetzt eben auf einer neuen, zeitgemäßen Ebene statt.
Für die Einhaltung des Arbeitsrechts und der Tarifbedingungen sind auch da Arbeitgeber und Arbeitnehmer zuständig. Das regeln die untereinander mit den Mitteln des Tarifrechts. Gestreikt wird ja immer mal wieder sehr wirksam, und die Streikenden wissen die Sympathie der Mehrheit hinter sich.
Im Gegensatz zu den Weberaufständen im 19ten Jahrhundert müssen heutzutage gottseidank keine Kinder verhungern und Arbeitnehmer unmenschlich leiden. Auch ich sehe es kritisch, dass bei AMAZON nur miese Löhne gezahlt werden, und wäre gerne bereit, für den Service etwas mehr zu bezahlen…
Lieber Herr Lxxxxxxxx,
es ist jedem selbst überlassen, durch seine Einkäufe diese Entwicklung zu fördern oder auch durch seinen Boykott zu hemmen.
Ich würde mir nie eine direkte Kritik an Ihrem persönlichen Einkaufs-, Ess-, Urlaubs- oder Fahrverhalten erlauben. Sie könnten sogar als Jäger ein süßes Reh erschießen und darauf mit Wein aus Südafrika anstoßen, ohne dass ich Sie in die geistige Nähe von Mördern stellen würde.
Ebenso wenig billige ich Ihnen allerdings zu, meine wohlüberlegte Entscheidung für einen ausgeklügelten und derzeit absolut konkurrenzlosen Distributionsweg in einer schlichten aber provokant dahingeworfenen Aussage zu diskreditieren.
Das steht Ihnen einfach nicht zu.”
Was erlauben Strunz?!?
Der Mann hat doch völlig Recht, Jürgen! Du solltest Dich – gerade auch mit Rücksicht auf Dein Seelenheil – möglichst schnell einer Selbsthilfegruppe anschließen. Was Du mit der Auswahl von Amazon als Produzent Deines Buches an volkswirtschaftlichem Schaden angerichtet hast, ist völlig unentschuldbar. Noch dazu proaktiv und in Vollbesitz Deiner geistigen Kräfte. Das wird Dich noch jahrelange verfolgen.
Der nächste Shitstorm kommt bestimmt! Darauf ein leckeres San Pellegrino!
amazon zahlt keine steuern. ob es die zukunft ist oder nicht ich kaufe dort kein buch.
Hallo und danke für den Kommentar.
Ich will hier nicht als der große Amazon-Verteidiger rüberkommen, und die Beispiele in meinem Beitrag sind natürlich als satirische Übertreibung zu sehen. Es ging mir schlicht um die Art und Weise beim Austausch von verschiedenen Meinungen. Es macht einen Unterschied, ob ich vor einem Metzgergeschäft sichtbar gegen die Tötung von Tieren protestiere und damit meine Meinung kundtue, oder ob ich einem Käufer ein: “Du bist ein Mörder!” ins Gesicht sage. Das hat etwas mit Respekt für die unterschiedlichen Meinungen zu tun. Wer ohne Fehler ist, möge einen ersten Stein werfen, aber ich bin dafür, auch im Glashaus eher gesittet Argumente auszutauschen.
Im übrigen zahlt Amazon seit Mai seine Steuern in Deutschland. Zwar wenig, weil da wenig Gewinn gemacht wird, aber das sind sie in guter Gesellschaft mit manch angesehenem deutschen Automobilbauer.
Also nichts für ungut: Auch in weiß, dass der mündige Verbraucher auch eine moralische Verantwortung trägt. Für die Diskussion darüber wünsche ich mir allerdings einen wertschätzenden und respektvollen Ton.
Und für Ihre Entscheidung, bei Amazon kein Buch zu kaufen, habe ich vollstes Verständnis – auch wir kaufen unsere Bücher größtenteils bei unserem örtlichen, kleinen Buchhändler. Bei Interesse schicke ich Ihnen ein Exemplar meines Buches auch gerne portofrei zu.
mit sonnigen Grüßen!
Jürgen Deck
So ist es einfach, wir werden den Fortschritt, die Veränderungen nicht aufhalten und auch Amazon nicht. Ich kenne so viele Menschen, die kein Plastik, keine Fertigprodukte, also alles was so korrekt angesagt ist meiden und nicht kaufen, aber trotz allem Amazon wegen eines Reissverschlusses bemühen der im Einzelhandel in der Länge nicht mehr aufzutreiben ist. Ich finde es gut das Du für Dein Buch alle Register ziehst und Dich von den verschiedenen Plattformen stützen und fördern lässt im Verkauf.
Mir sind die Praktiken von amazon & Co auch ein Dorn im Auge.
Meine Reaktion darauf:
Ich kaufe sehr viel online. Meide aber wenn irgendwie möglich amazon und andere “Großunternehmen”. Ich will deren monopolartige Strukturen nicht noch weiter unterstützen. Obwohl diese „Großen“ vom Service, den Preisen, der Auswahl und vielem mehr super, fast unschlagbar sind.
Doch langfristig halte ich diese Konzentration nicht für sinnvoll.
Und ich als „Kleiner“ lebe auch von Kunden für die andere Werte zählen als die von z.B. amazon…